Das Konzept der Selbstliebe und Warum ich es problematisch finde

Es spricht gefühlt jede:r davon, im Internet finden sich unzählige Ratschläge und Tipps zum Thema Selbstliebe, man kann Bücher zum Thema kaufen oder T-Shirts, die mit “self care” bzw. “self love” Slogans bedruckt sind, Popsongs besingen die Liebe zu sich selbst, Instagrammer:innen widmen sich dem Thema ausgiebig und verkaufen damit gleichzeitig ihre überteuerten Yogamatten und Kerzen, Fitnessseiten schreiben Artikel über Selbstliebe und versuchen im nächsten Schritt Supplement Boxen für einen stolzen Preis zu verkaufen- als Unterstützung auf dem Weg zur Selbstliebe, versteht sich! Selbstliebe scheint heute ein allgegenwärtiges Thema zu sein, mit dem sich mitunter Geld machen lässt, gleichzeitig werden Menschen dem Druck ausgesetzt, sich selbst zu lieben und dieses Ziel schnellstmöglich zu erreichen (als ob es eine Endstation Selbstliebe geben würde). Aber ist Selbstliebe denn wirklich der Grundpfeiler eines glücklichen und zufriedenen Lebens? Kann man sich selbst so sehr lieben, dass man auf andere nicht mehr angewiesen ist und welches menschliche Bedürfnis steckt eigentlich hinter dem Wunsch nach der bedingungslosen Selbstliebe?

I love myself, i don´t need anybody else?

“Gonna love myself, no, I don´t need anybody else” singt Hailee Steinfeld und besingt damit das Ende ihrer Beziehung und die damit einherkommende Erkenntnis, ohnehin niemand anderen, als sich selbst zu brauchen. Es gibt mittlerweile unzählige Songs, die “self love” besingen und allen gemeinsam ist die Einstellung, dass man sich selbst ganz allein glücklich machen kann und niemand anderen dafür braucht- I can buy myself flowers- Ja eh, aber: stimmt es eigentlich wirklich, dass wir niemand anderen in unserem Leben brauchen, um glücklich zu sein? So wie das Konzept der Selbstliebe in diversen Medien erklärt wird, klingt es wie eine Superkraft, die es zu erreichen gilt, wenn wir sie erst mal erreicht haben, dann macht sie uns unantastbar vor Kränkungen, weil wir dann von innen heraus strahlen- so zumindest der Wortlaut. In der Psychologie wird der Begriff Selbstliebe kaum verwendet, hier bedient man sich eher des Begriffs des Selbstwerts, wobei beide Begriffe natürlich sinnverwandt sind. Es gibt in der Psychologie Forschung zum Thema Selbstwert, wobei wichtig zu erwähnen ist, dass der Begriff eher unklar definiert ist, weil er vielfach wertend verwendet wird. Die psychologische Forschung zum Thema Selbstwert konzentriert sich eher darauf, welchen Einfluss verschiedene Variablen auf den Selbstwert haben. Ein wichtiger Punkt, den die Psychologie mitunter aufgreift ist die Klarstellung, dass Selbstwert niemals von anderen Personen unabhängig ist- sprich: Mitmenschen haben einen wesentlichen Anteil an unserem Selbstwert! Ich finde, dass es intuitiv eigentlich klar sein sollte: wir leben niemals abgeschottet von anderen Personen, wir wachsen in Familiensystemen auf, haben Freundschaften und leben in einem sozialen System, wo wir niemals gänzlich unabhängig von anderen Personen sind. Wie wir von anderen Personen behandelt werden, hat einen Einfluss auf unsere Persönlichkeit, den wir nicht leugnen können! Menschen sind darauf programmiert, dass wir dann Überleben, wenn wir uns mit anderen zusammentun, das sicherte unser Überleben, Ablehnung könnte dagegen eine Gefahr für unser Überleben darstellen, weil wir unser Überleben allein nicht sichern können. Somit sollte klar sein, dass Selbstliebe und Selbstwert nicht nur von uns selbst abhängen, und dass daran auch andere beteiligt sind und unsere Erfahrungen darauf einen großen Einfluss haben. Soll aber nicht heißen, dass wir tatsächlich weniger wert sind, wenn wir Ablehnung erfahren, sondern uns vielmehr bewusst machen, dass Menschen in unserem Umfeld einen wichtigen Einfluss auf uns haben und wir eventuell eher darauf achten sollten, welche Personen einen positiven Einfluss auf uns haben und diejenigen gehen zu lassen, die uns nicht gut tun.

Selbstliebe im Spätkapitalismus

Mir ist schon oft aufgefallen, dass die vielen Tipps und Ratschläge sich selbst zu lieben, sich sehr häufig darum drehen, etwas zu konsumieren, man soll sich also etwas kaufen, um sich selbst lieben zu können: kauf dir eine Yogamatte oder melde dich zu einem Yogakurs an, kauf dir ein Buch, geh mal wieder zum Friseur, kauf dir eine sündhaft teure “self love” Duftkerze etc..Das bist du dir doch immerhin wert, oder? Kaum zu glauben, aber wahr: man kann lernen, sich selbst anzunehmen, ohne dafür Geld auszugeben! Surprise, surprise! Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, die meisten Menschen sind also ständig damit beschäftigt, sich selbst zu verbessern- werde die beste Version deiner Selbst! Dazu zählt auch, dass du lernen sollst, dich selbst zu lieben! Und wenn du es noch nicht tust, dann arbeite gefälligst daran! Du sollst immer mit irgendetwas beschäftigt sein, es gibt nur ein einziges No-go in einer Leistungsgesellschaft im Spätkapitalismus: Zufriedenheit- damit lässt sich nämlich kein Geld verdienen! Menschen setzen sich selbst emotional enorm unter Druck und haben ein schlechtes Gefühl, wenn sie es nicht schaffen, sich ständig selbst zu lieben- vor allem, wenn man Ablehnung erfährt! Deshalb frage ich mich, welches menschliche Bedürfnis eigentlich dahintersteht? Selbstliebe zu praktizieren findet so einen großen Anklang, also muss ein menschliches Bedürfnis dahinterstehen. Ich selbst glaube, dass es mehrere Faktoren sind: zum Einen soll Selbstliebe als Selbstschutz fungieren: unsere Gesellschaft wird zunehmend oberflächlicher, Beziehungen unverbindlicher, sich bei großer Auswahl auf eine Person festzulegen immer unwahrscheinlicher und somit versucht man, sich mit Selbstliebe vor diesen Entwicklungen zu schützen, weil das Verlassenwerden ein wenig vorweggenommen wird und somit weniger schlimm ist. Zum Anderen spielt in unserer westlichen Gesellschaft Autonomie eine wichtige Rolle und Abhängigkeit von anderen wird stark negativ bewertet, davon könnte auch die Betonung kommen, niemand anderen brauchen zu sollen.

Was ist also die Konsequenz daraus?

Don´t get me wrong: ich finde es ja an sich nicht falsch, sich grundsätzlich zu mögen und anzunehmen. Sich bestmöglich alleine versorgen zu können und nicht ständig für jede Kleinigkeit auf andere angewiesen zu sein ist natürlich eine gute Sache! Ich finde aber, dass wir uns selbst nicht so ernst nehmen sollten und versuchen sollten, mit unseren Gedanken, nicht immer um uns selbst zu kreisen. Man kann eigene Schwächen auch mit Humor nehmen und sich immer wieder bewusst machen, dass man nicht auf die beste Version seiner Selbst hinarbeiten muss, denn dieses Ziel ist ohnehin unnereichbar! Außerdem finde ich es wichtig, immer ein offenes Ohr dafür zu haben, wenn Mitmenschen mitteilen, dass sie sich durch meine Verhaltensweisungen gekränkt fühlten, denn blind für eigene Fehler vor lauter Selbstliebe zu sein, wäre auf jeden Fall der falsche Weg! Auf jeden Fall brauchen wir keinen Schnickschnack zu kaufen, um uns selbst annehmen zu können, du kannst die Yoga Klasse mit Hannah also ohne schlechtes Gewissen absagen…