Illouz, Eva: Warum Liebe Weh TUT

Liebeskummer ist ein Arschloch – das wissen wir doch alle! Jede:r kennt es, hat es ein- bis viele Male durchgemacht, sich dabei die gut gemeinten aber leider oft auch total unnötigen und fehlplatzierten Ratschläge von Freund:innen angehört und vielleicht den ein oder anderen aus völliger Verzweiflung auch gefolgt: zum Yoga Kurs anmelden, ein Schaumbad einlassen, auf Reise nach Indien oder Thailand begeben, Selbsthilfebücher kaufen, ich hab sogar einmal den Ratschlag gelesen, sich in die Psychiatrie einweisen zu lassen wenn es ganz schlimm werden sollte…die Liste an Ratschlägen könnte unendlich weiter geführt werden, was hilft muss letzlich jede:r selbst entscheiden… 

Doch was ist es eigentlich genau, was Liebeskummer so verdammt schmerzhaft und schwer zu ertragen macht? Hätte man das ganze Leid womöglich auch verhindern können, indem man sich zum Beispiel mehr angestrengt hätte und auch mehr selbst geliebt hätte? Wäre die andere Person dann noch da? Muss ich mich in Zukunft mehr anstrengen, denn nur wer mit sich selbst im Reinen ist, kann von anderen geliebt werden? Ist es heutzutage überhaupt noch möglich, eine echte, erfüllende Beziehung auf Augenhöhe zu führen?

Diesen Fragen widmet sich Eva Illouz in “Warum Liebe weh tut” und betrachtet aus soziologischer Perspektive modernes Liebesleid, indem sie einen Vergleich der Liebes- und Beziehungsprobleme des 19. Jahrhunderts mit Liebes- und Beziehungsproblemen der Moderne zieht und dabei einer genaueren Analyse unterzieht.

Illouz erklärt, dass Liebesentscheidungen im 19 Jahrhundert eine kollektive Aufgabe für die ganze Familie gewesen sind, das heißt, dass die gesamte Familie mitenschieden hat, wer als Ehepartner:in in Frage kommt und diese Entscheidungen sehr oft mit dem sozioökonomischen Status einer Person, aber auch mit dem Charakter einer Person zusammenhingen. Unter Charakter verstand man das Vermögen einer Person, sich an Versprechungen zu halten und moralisch zu handeln. Männer galten als ehrbar, wenn sie sich an Versprechungen gehalten haben und verbindliche Beziehungen eingingen. Heute spielt das Attribut “Sexyness” in der Partner:innenwahl eine große Rolle, diese würde dazu führen, dass Menschen hierarchisiert werden und jeweils individuelle Wertigkeiten aufgrund von Attraktivität vergeben werden, was in weiterer Folge über den Erfolg im Feld der Liebe entscheidet. Da Erfolg in der Liebe in der Moderne so stark mit unserem Selbstwert und unserer Attraktivität verknüpft ist, sei Liebskummer auch so schmerzhaft. Wenn man von jemand anders geliebt wird, wird einem automatisch ein Wert zugeschrieben und das ist wiederum Balsam für unsere Seele. Das hat wohl auch schon Johann Wolfgang Goethe wahrgenommen, indem er darlegt, wie positiv sich die Liebe seiner Angebeteten auf seinen Selbstwert auswirkt:

Mich liebt! und wie wert ich mir selbst werde, wie ich — dir darf ich’s wohl sagen, du hast Sinn für so etwas — wie ich mich selbst anbete, seitdem sie mich liebt! ~ Goethe, Johann Wolfgang. Die Leiden des jungen Werther.

Zusätzlich argumentiert Illouz, wie der Kapitalismus und die Logik des Marktes heutige Beziehungen und die Partner:innenwahl beeinflusst. So würden Knappheit und Überfluss in der Partner:innenwahl zentrale Wirkmechanismen sein:

Waren, welche im Überfluss vorhanden sind, werden am Markt weniger Wert beigemessen und zusätzlich fällt es auch noch schwerer sich für eine Ware zu entscheiden, wenn diese im Überfluss vorhanden ist. Wogegen vorherrschende Knappheit der Ware größeren Wert beimisst, wenn die Ware nur knapp vorhanden ist, würde man sich auch rascher für eine Ware entscheiden. Diese Logik hätte sich laut Illouz auf unsere Beziehungen übertragen und würde unter anderem der Bindungsunwilligkeit zugrunde liegen. Die Auswahl an Sexualpartner:innen ist mitunter durch die sexuelle Freiheit und modernen Technologien sehr groß geworden, vor allem Männer würden durch patriarchale Gegebenheiten das sexuelle Feld dominieren und eine größere Auswahl als Frauen haben, da es zum Beispiel für Männer gesellschaftlich kein Problem darstellt viel jüngere Frauen zu daten und Männer insgesamt aufgrund ihrer biologischen Gegebenheiten bezüglich des Kinderwunsches nicht unter Zeitdruck stehen. Laut Illouz sei die neue Distanziertheit und Bindungsunwilligkeit der Männer auch darauf zurückzuführen, dass Männer im öffentlichen Raum an Macht verloren haben (Frauen am Arbeitsplatz, in Führungsrollen etc.) und sie sich diese Macht im privaten Bereich der Beziehungen zurückholen wollen und durch Bindungsunwilligkeit und Distanziertheit das sexuelle Feld bestimmen können.

Außerdem gebe es laut Illouz zwei vorherrschende Prinzipien, nach denen Menschen in der Moderne streben: Das Prinzip der Autonomie und das Prinzip der Anerkennung. Menschen sollen so autonom wie möglich leben und niemals von jemanden abhängig sein- so der gesellschaftliche Konsens. Abhängigkeit wird gleichgesetzt mit einer Pathologie, derer man sich durch Therapie oder Selbsthilfe lieber schnell entledigen sollte. Gleichzeitig streben Menschen auch nach Anerkennung und Bestätigung, die sie mitunter durch soziale Beziehung erhalten. Diese beiden so gegensätzliche Prinzipien miteinander in Einklang zu bringen sei schier unmöglich. Vor allem Frauen würden unter dieser Unvereinbarkeit leiden, da sie es sind, die zur Fürsorge erzogen werden und dadurch eher dazu neigen, “zu viel” zu lieben, was bei Männer Distanziertheit und Ablehnung auslösen würde (Prinzip des Überflusses).

Psychologie und Psychotherapie hätten auch dazu beigetragen, das allzu menschliche Bedürfnis nach Anerkennung zu pathologisieren und zu einem Zeichen eines geringen Selbstwerts zu erklären. Es würde in Therapien allzuoft vermittelt werden, dass Liebes- und Beziehungsprobleme individuelle Probleme seien und somit würde den Betroffenen die Mitschuld am Scheitern ihrer Beziehungen gegeben. Es würde vermittelt werden, dass sie nur ihre Autonomie in den Mittelpunkt zu stellen haben und mehr Selbstliebe praktizieren sollen – dann würde alles gut werden und ihre Beziehungen prächtig laufen. Was dabei völlig außer Acht gelassen wird ist, dass Selbstwert zu einem gewissen Teil auch durch Anerkennung von anderen Personen bedingt wird. Selbstwert wird in der Interaktion mit anderen Menschen aufgebaut und existiert nicht völlig losgelöst von anderen. Menschen sind soziale Wesen und können alleine nicht überleben, diese Tatsache zu verleugnen macht keinen Sinn und führt meiner Meinung nach am Ende doch nur dazu, dass wir verlernen, wie wir miteinander umgehen sollten und führt in weiterer Folge auch dazu, uns selbst die Schuld für jegliche Form von unrechtem Verhalten bei anderen Personen zu geben.

Ich kann das Buch insgesamt nur weiterempfehlen, Illouz bringt spannende und einleuchtende Argumente für den gesellschaftlichen Wandel in der Liebe. Bei mir ist nach dem Ende des Lesens jedoch ein fahler Geschmack zurückgeblieben, denn bei mir ist die Frage plötzlich aufgetaucht, ob Psychotherapie nur mehr dazu dient, vor allem Frauen (weil sich diese häufiger in Therapie begeben als Männer) zu sagen, dass ihre sozialen Probleme keine realen sind, sondern ihre persönlichen Probleme, dass distanzierte Männer nicht das Problem sind, denn sie leben nach dem Prinzip der Autonomie, was normal und erstrebenswert sei. Was mir beim Lesen definitiv gefehlt hat waren Vorschläge und Ideen, wie man diesen Entwicklungen Einhalt gebieten kann, wenn Frauen vermittelt wird, dass sie sich distanziert geben müssen, um überhaupt die Chance auf Liebe zu haben, sind wir wieder da angelangt wo wir nicht sein wollen: einem Verhaltenskodex für Frauen. Niemand sollte seine Absichten aus taktischen Gründen verschleiern müssen! Nach Lesen des Buches finde ich, dass heterosexuelle Frauen nicht aufhören sollten, ganz deutlich auszusprechen, wenn sie eine verbindliche Beziehung wollen, wenn das dazu führt, dass der Mann abzieht, dann hat man sich auf Dauer bestimmt Leid erspart…

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